Die Grünenwähler – wenn aus Protest eine Subkultur wird

Die Grünen und das Bündnis 90 der DDR waren wohl nie „nur“ Protestparteien, sondern hatten immer ein gewisses Maß an Prestige und standen für Fortschritt. Das hätte so gar nicht kommen müssen. Beide Parteien hatten in ihrer Gründungsphase entscheidende Nachteile. Im Westen kämpfte die Partei mit dem großen Anteil pädophiler Mitglieder, im Osten war sie ein Teil der gegen das etablierte System eingestellten Runden Tische – in der Schweiz kämpfen die Grünen derweil immer noch um Anerkennung.

Und auch der Umweltgedanke war bis in die 2010er-Jahre eher ein Kommentar denn fester Bestandteil der deutschen Politik. So wurde eine Renate Künast, die im Lichte des BSE-Wahns der frühen 2000er-Jahre forderte, Kühe müssten Gras und Wasser statt Billigfutter erhalten, noch ausgelacht.

Die Grünen im Höhenflug

Spätestens aber seit Fukushima erleben die Bundesrepublik Deutschland und die Schweiz einen wahren Klima-Hype, der in Europa seinesgleichen sucht. AKWs werden abgeschaltet, Kohleenergie steht am öffentlichen Pranger und ein eminenter Bestandteil der Bevölkerung wendet sich einer veganen Lebensweise zu. Wie konnte das kommen? Ist der grüne Lebensstil nun eine neue Form der Sinnstiftung im bundesdeutschen Diskurs?

Zuallererst schafften es die Grünen, vermutlich auch wegen ihrer langen Lage in der Opposition, ihre parteiinternen Skandale aufzuarbeiten. Ob der Wunsch nach einer Legalisierung von gewaltfreiem Sex mit Kindern durch Klinsmann, oder die pädophil anmutenden Äußerungen eines Daniel Cohn-Bendit, beides wurde in der Pädophilie-Debatte von 2013 gründlich aufgearbeitet und öffentlich entschuldigt. Auch die Tätigkeit in der DDR brachte dem Bündnis 90 keine Probleme ein. Im Gegenteil: Als eine der ersten demokratischen Institutionen in einem erdrückenden politischen Klima gelang es der Bewegung, mit anderen Instanzen einen demokratischen Diskurs zu begründen. Dieser hätte, sofern sie nicht aufgelöst worden wäre, der DDR einen enormen politischen Schub gegeben.

Wen stört das?

Nun stehen die Grünen grundsätzlich in der Kritik diverser politischer Gruppen in Deutschland, die ihren Anhängern eine Art Hysterie vorwerfen. Woher kommt dieser Gegenwind?

Es dürfte vielen Menschen in Deutschland, die Wohlstand und faire Arbeitsverhältnisse erst spät kennengelernt haben, schwerfallen, mit der freien Forderung nach höheren Steuern, weniger klassischem Autoverkehr und mehr Einwanderung zurechtzukommen. Sind die Grünen hier nicht zu optimistisch? Ist es nicht fragwürdig, in private Entscheidungen anderer Leute hineinzureden? Hierfür gab es Ideen, etwa bezogen auf den gastronomischen Bereich mit einem obligatorischen Veggie-Day oder zum Beispiel Maßnahmen wie der Errichtung einer 30er-Zone in Berlins Leipziger Straße. Auch Bewegungen wie die Fridays for Future, die maßgeblich von Kindern aus der gehobenen Mittelschicht getragen wird, stoßen im Arbeiter- und Unternehmermilieu auf Kritik. Haben diese Kinder schon jemals wirklich gearbeitet? Wissen sie, wie viel schwerer der Berufsalltag ist, wenn man ihn mit einem kleineren ökologischen Fußabdruck erledigen muss?

Trotzdem kommen die Grünen in aktuellen Umfragen auf teilweise weit mehr als 20 Prozent und bilden damit die zweitstärkste Kraft der Parteienlandschaft Deutschlands. In der Schweiz wurden sie im Oktober viertstärkste Kraft. Ob dieser Trend anhält, oder ob sich doch Widerstand von zu vielen Seiten zeigen wird, bleibt abzuwarten. Doch mit ihrer optimistischen Botschaft und ihrer Kompromisslosigkeit bezüglich Umweltschutz schaffen es die Grünen, als moralische und subkulturelle Instanz besonders junge Menschen anzusprechen.

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